Viele Energiegenossenschaften haben ein Generationenthema. Vorstände und Aufsichtsrät:innen sind überdurchschnittlich alt und überwiegend männlich. Aktive Frauen kommen viel zu selten vor, junge Menschen ebenso. In Hessen waren laut einer Befragung der Technischen Universität Darmstadt nur acht Prozent der Vorstände von Energiegenossenschaften weiblich. Dabei haben diese viel zu bieten: Sinnvolle Aufgaben in einer attraktiven Organisation mit wertvollen Zielen. Damit das Engagement in Energiegenossenschaften für Menschen attraktiv ist, braucht es ein zielgerichtetes Vorgehen. Wichtig ist die Klarheit darüber, welche Aufgaben mit welchen Kompetenzen zu erfüllen sind. Die Basis hierfür bildet eine deutliche Kommunikation über die Arbeit und Ziele der Energiegenossenschaft.
Wer Aktive und Verantwortliche gewinnen möchte, steht vor der kommunikativen Aufgabe, die „DNA“ der Genossenschaft zu erarbeiten und zu vermitteln: Vision, Mission, die Werte, die Idee der demokratischen Gesellschaftsform und die Rolle, die sie in der Kommune, der Region spielen will.
Mitglieder (re)aktivieren
Energiegenossenschaften haben mit ihren Mitglieder ein großes Potential. Um sie zu aktivieren, ist der Mehrwert der Mitarbeit klar zu kommunizieren: Was kann die Energiegenossenschaft erreichen, wenn mehr Personen aktiv mitarbeiten? Gleichzeitig gilt es die Motive zum Engagement zu erforschen: Was erwarten sich Menschen, wenn sie sich engagieren? Was treibt sie an? Was hat die aktuell Verantwortlichen und Aktiven motiviert?
Zentral sind die Formen der Beteiligung, die die Energiegenossenschaft bietet. Sucht sie einzelne Personen für bestimmte Aufgaben, Berater:innen (Fachwissen teilen, Projektpläne analysieren, Controlling) oder installiert sie Teams wie zum Bespiel
- themenbezogene (z.B. Kommunikation, IT, Technik, PV-Akquise)
- oder projektbezogene Arbeitsgruppen (E-Carsharing initiieren)
Dabei ist zu klären, wie die Arbeitsgruppen sich (selbst)organisieren, wer die Kontaktperson aus dem Vorstand ist und ob die Energiegenossenschaft eine griffige Bezeichnung für die Aktiven findet, etwa Energiewendebotschafter:innen oder Dachpat:innen.
Neue Aktive gewinnen
Wenn Menschen genau wissen, wie sie sich einbringen können, empfinden sie eine größere Sinnhaftigkeit hinter ihrem Beitrag. Für das Gewinnen von Aktiven ist ein strukturiertes Vorgehen sinnvoll.
Die Struktur lässt sich anhand von Fragen konkretisieren:
- Auf welchen Wegen können zukünftige Aktive gefunden werden?
- Für welche Aufgaben und welchen zeitlichen Umfang werden Aktive gesucht?
- Was bietet die Genossenschaft?
- Was soll die gesuchte Person können?
- Welche Zielgruppen werden angesprochen?
Bei der Suche kommt es darauf an, die Zielgruppen einzugrenzen, um die passende Ansprache und wirksamen Kommunikationswege wählen zu können. Zielgruppen sind z.B.:
- Energie- und Umweltbeauftragte, Klimaschutzmanager:innen,
- Menschen, die sich in Kirche für Bewahrung der Schöpfung engagieren,
- Beschäftigte der Erneuerbare-Energien-Branche
- junge Menschen, Studierende,
- Aktivist:innen von Fridays for Future, Parents for Future, Scientists for Future,
- engagierte Frauen,
- Bürger:innen über 60 Jahre, die sich freiwillig engagieren möchten
Je nach Zielgruppe lassen sich eine Reihe von Kommunikationswegen bespielen:
- Stellenausschreibungen in Newslettern, Website und Social Media, Anzeigen in Ehrenamtsportalen, Artikel in Zeitungen,
- Mitgliederumfragen
- Ideenfindungswerkstatt,
- Energiewendestammtisch, Veranstaltungen für Mitglieder und Interessierte
- persönliche Ansprache,
- Netzwerkarbeit (z.B. BUND, Parents for Future, Klimaschutzgruppen)
- Aktivenbörse am Ende der Generalversammlung usw.
Der Kontakt zu jungen Menschen lässt sich zum Beispiel über Kooperationen mit Bildungsinstitutionen (Solarprojekt mit Schulen) oder Studierendenprojekte bahnen. Die Energiegenossenschaft kann jedoch auch als Arbeitgeber für Minijobs, Praktikant:innen und Werkstudierende interessant sein.
Die Energiegenossenschaft für Frauen attraktiv machen
Frauen sind laut Untersuchungen tendenziell sensibler für ökologische und gesundheitliche Belange. Damit sind sie Schlüsselakteurinnen bei der Transformation hin zu einem nachhaltigeren Energiesystem. Auch in Klima- und Umweltbewegungen sind Frauen sehr aktiv. In der Bürgerenergie sind sie jedoch unterrepräsentiert. Doch es braucht die Expertise, die Erfahrung und das Engagement von Menschen aller Geschlechter für die schnelle und erfolgreiche Umsetzung der Mammutaufgabe Energiewende.
Windräder, Solaranlagen, Elektroautos sind oft auf Homepages zu sehen. Doch die Energiewende wird von Menschen getragen. Hier dominieren auf den genossenschaftlichen Websites meist Männer. Die einseitige Darstellung verstärkt das Image des männlich geprägten Energiesektors. Sinnvoll ist es, aktive Frauen zu porträtieren und sie auf Fotos gut sichtbar zu platzieren.
Männliche, dominante Verhaltensweisen prägen häufig die Kommunikationskultur in Sitzungen. Auch hier gibt es Optionen. Abwechselnd moderieren Frauen und Männer. Basisdemokratischen Gruppen benutzen oft eine gegenderte Redeliste: Die Moderation nimmt Beiträge abwechselnd nach Geschlecht an.
Neue Vorstände mit passendem Profil
Häufig leiten zwei Vorstände die Geschicke der Energiegenossenschaft, eine Person mit dem Schwerpunkt Technik, eine andere mit Finanzkompetenz. Das kann dazu führen, dass weitere zentrale Bereiche nicht hinreichend abgedeckt werden. Gerade in ehrenamtlich organisierten Organisationen hilft eine größere Zahl von Vorständen, die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen.
Für die Vorstandssuche lässt sich das strukturierte Vorgehen aus dem Abschnitt „Neue Aktive gewinnen“ mit Stellenausschreibungen nutzen. Allerdings gibt es hier Unterschiede. Vorstände werden für einen längeren Zeitraum gesucht, tragen die Verantwortung für die Energiegenossenschaft und brauchen deshalb unternehmerische und Führungskompetenz und vor allem die Bereitschaft, viel freie Zeit zu investieren. Das tun, so die Erfahrung Menschen, die sich stark mit der Idee der Energiewende in Bürger:innenhand identifizieren, das Ziel der Klimaneutralität in ihrem Ort oder der Region umsetzen möchten oder an ganz konkreten Themen wie Nahwärme oder Elektromobilität interessiert sind. Die passenden Personen zu finden, braucht deshalb längere Zeit. Auch für die Einarbeitung sollte genügend Zeit eingeplant werden.
Welche Personen mit welchen Qualifikationen sucht die Genossenschaft? Das ist die wichtigste Frage bei der Suche nach Vorständen: Sind in der Energiegenossenschaft die nötigen Kompetenzen in den wichtigen Geschäftsbereichen wie Vertrieb, Projektentwicklung, Verwaltung und Kommunikation vorhanden? Wo gibt es Defizite oder Lücken? Hilfreich ist eine Analyse der vorhandenen Kompetenzen, wie in der Abbildung dargestellt. (Diese Kompetenzen müssen natürlich nicht alle im Vorstand angesiedelt sein).
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Marketing und Vertrieb:vorhanden oder nicht vorhanden
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Projektentwicklung:vorhanden oder nicht vorhanden
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Energietechnik:vorhanden oder nicht vorhanden
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Energiewirtschaft und -recht:vorhanden oder nicht vorhanden
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Steuern und Recht:vorhanden oder nicht vorhanden
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PR und Öffentlichkeitsarbeit:vorhanden oder nicht vorhanden
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Finanzen:vorhanden oder nicht vorhanden
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Strategie und Entwicklung:vorhanden oder nicht vorhanden
In der Praxis gibt es unterschiedliche Strategien der Vorstandsuche. Von ihrer Kompetenz her sind Beschäftigte der Erneuerbare Energien Branche interessant. Junge Menschen lassen sich eher gewinnen, wenn sie in der Energiegenossenschaft eine berufliche Perspektive finden können. Natürlich sind auch ältere Menschen interessant, die im letzten Teil ihres Berufslebens „etwas der Gesellschaft zurückgeben möchten“. In manchen Energiegenossenschaften stellen Vertreter:innen wichtiger Kooperationspartner (Banken, Kommunen, Stadtwerke) Vorstandsposten, Eine Reihe von Energiegenossenschaften gewinnt ihre Vorstände auch aus dem Kreis der Aktiven.
Geeignete Aufsichtsrät:innen finden
Der Aufsichtsrat überwacht die Geschäftsführung des Vorstands, arbeitet zum Beispiel bei der strategischen und operativen Ausrichtung der Genossenschaft mit, prüft den Jahresabschluss und die wirtschaftliche Entwicklung. Diese Aufgaben zu erfüllen, setzt bestimmte Kompetenzen voraus. Auch hier ist ein strukturiertes Vorgehen sinnvoll.
In einem Treffen – am besten ein Jahr vor der nächsten Wahl – legen Vorstand, aktueller Aufsichtsrat und evtl. Aktive Kriterien der Suche fest:
- Gewünschte Zahl der Aufsichtsräte (wenn die Satzung Spielraum lässt)
- „Fachaufsichtsräte“ zu Themen und Geschäftsfeldern, die von der Genossenschaft verfolgt werden
- Kompetenzbereiche: Klimaschutz/Nachhaltigkeit, Finanzen, Wissenschaft, Unternehmensentwicklung, kommunale Verwaltung, Recht
- Netzwerke der Personen, Bekanntheit vor Ort
- Diversität (junge Menschen, mehr Frauen, Personen mit Migrationshintergrund)
Dann ist der Prozess zu klären, wie die Genossenschaft neue Aufsichtsrät:innen gewinnen möchte, die sich der Generalversammlung zur Wahl stellen.
- Stellenausschreibung erstellen und verbreiten
- Erstkontakt durch die Person mit der größten Nähe zu dem/der Kandidat:in
- Oder: Workshop / Workshopreihe für zukünftige Aufsichtsrät:innen
- Persönliches Kennenlerntreffen, etwa mit je einer Person aus Aufsichtsrat und Vorstand: Darstellen der Aufgaben und der zeitlichen Einbindung
- Gemeinsames Treffen aktuelle Aufsichtsräte, Vorstand und Kandidat:innen
Weiterführende Informationen
Praxisbeispiele
UrStrom Club: Ein monatliches Treffen, alternierend an zwei Wochentagen, an einem festen Ort mit fester Startzeit, mit Moderator:in und Teilnahme von Vorstand und/oder Aufsichtsrat als Zeichen der Wertschätzung der Mitglieder. Die Ziele: Persönlichen Kontakt schaffen, Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und Aktive gewinnen.
Mitgliederumfrage: Die Energiegenossenschaft Ilmtal fragt schon auf dem Mitgliedsantrag nach Engagement. 2021 hat sie über eine Mitgliederumfrage gezielt Aktive gesucht und gefunden: „Werde selbst Ideengeber:in, Lösungsfinder:in, Wegbereiter:in, Macher:in, Unterstützer:in! Wir möchten besonders Frauen dazu ermutigen, sich mit ihren Interessen zu beteiligen.“
Heidelberg wird Sonnenstadt: Mehr Menschen für die Energiewende begeistern, aktive Mitglieder und Stromkund:innen gewinnen und die Wirkung für die Energiewende erhöhen: Das wollte die HEG Heidelberger Energiegenossenschaft eG mit ihrer Kampagne „Heidelberg wird Sonnenstadt“ erreichen.
Trainingskonzept „Botschafter:innen für die Energiewende Die Idee der Bürgerenergie braucht Multiplikator:innen! Gemeinsam mit der Olegeno Oldenburger Energie-Genossenschaft eG wurde im klimaGEN Projekt ein Training konzipiert mit dem Ziel Botschafter:innen zu schulen und als Mitstreiter:innen zu gewinnen.